"Ein historisches Verbrechen“

Bettina Hoyer

Mai 2013

Von Bettina Hoyer, (zuerst veröffentlicht in Blickpunkt Lateinamerika http://www.blickpunkt-lateinamerika.de/hintergrund/msgf/mexiko%3A_ein_hi...)

(Mai 2013).- Die Sprache ist drastisch: „Es handelt sich um ein historisches Verbrechen mit immensen Ausmaßen und Konsequenzen“, heißt es im Abschlussgutachten der Voranhörung des Permanenten Völkertribunals (TPP) mit Bezug auf den Freihandel. Das Fehlen von Schutzmaßnahmen für einheimisches Saatgut wird ebenfalls scharf kritisiert. Die mexikanische Regierung habe sogar aktiv dazu beigetragen, dass die Sortenvielfalt gefährdet sei. „Es darf aus keinem Grund zugelassen werden, dass diese Sorten und Varietäten verschwinden“, so das Dokument.
Maisvielfalt und Ernährungssouveränität in Gefahr
Mexiko ist Ursprungszentrum des Mais. Über die Jahrtausende haben die Vorfahren der heutigen Bewohner aus dem unscheinbaren Süßgras Teosinte eine unglaubliche Maisvielfalt gezüchtet. Sorten, die an die lokalen Bedingungen angepasst sind, wie Zeugen auf dem TPP immer wieder betonen. Wenn diese Vielfalt in Mexiko verschwindet oder kommerzialisiert wird, geht sie verloren oder kann nur noch teuer am Markt erkauft werden, so das Zukunftsszenario, dass die Gegner der mexikanischen Landwirtschaftspolitik beschreiben.
Das TPP – es entstand 1979 in Bologna in Anlehnung an die Russell-Tribunale - soll sich mit der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen befassen. Dieses nichtstaatliche Tribunal beruft sich auf die internationale Menschenrechtskonvention, bedient sich juristischer Mechanismen und arbeitet Fälle mit Anwälten so auf, dass Anklagen vor Gericht vorgebracht werden können. Die Gutachten des TPP sind hingegen nicht rechtlich bindend. Sie sollen jedoch aufrütteln und das Menschenrechtsverletzungen öffentlich machen. 2011 wurde ein „Kapitel Mexiko“ eingerichtet, dass bis Ende 2013 oder Anfang 2014 gehen wird.

"Angriff auf den Mais" ist Menschenrechtsverletzung
Ein Anhörungspunkt der „Akte Mexiko“ befasst sich unter anderem auch mit „Angriffen auf den Mais, der Gefährdung der Ernährungssouveränität und der Autonomie: die Angriffe der globalen Ernährungsindustrie auf das Leben von Landwirte und Indígenas“. Den Erhalt des einheimischen Maises zu gefährden ist also im Sinne des TTP Teil einer Menschenrechtsverletzung. Dies mit Fallbeispielen, wissenschaftlicher Expertise und Zeugenaussagen zu belegen, war unter anderem Aufgabe der Voranhörung in Oaxaca, an der am 26. und 27. April rund 450 Personen teilnahmen.

Darunter auch so prominente Personen wie Vananda Shiva aus Indien, Trägerin des alternativen Nobelpreises oder Ignacio Chapela, der 2001 die Kontamination mit Genmais in Mexiko offen legte und daraufhin fast seine Stelle als Professor an der Universität Berkeley verloren hätte. Er berichtete als Zeuge von der Diffamierungskampagne gegen ihn und seine Mitarbeiter aufgrund des Genmaisfundes und betonte dabei, dass die Entdeckung des kontaminierten Maises keine alleinige Leistung der Wissenschaft gewesen sei, sondern vor allem auch der indigenen Gemeinden und ihres Wissens um den Mais.

Selbstverwaltungsgrundlage der Gemeinden wird zerstört
Vertreter indigener Gemeinden aus dem nördlichen Bergland von Oaxaca, von Rarámuri-Gemeinden in Chihuahua und Nahuatl-Dörfern in der Sierra Norte des Bundesstaates Puebla und der Huasteca-Region in Hidalgo schilderten ihre Fälle. Sie verdeutlichten einmal mehr, dass Genmais „keinerlei Vorteile für die Kleinbauern und das Land“ bietet. „Die Gensaaten sind verwendet worden, um die Landwirtschaft zu kontrollieren und die Selbstverwaltungsgrundlage der Gemeinden zu zerstören“, wie es im Gutachten heißt.
Auch das neue Saatgutgesetz wurde als Angriff auf die kleinbäuerliche Lebensweise „enttarnt“: So erläuterte Antonio Turrent, von der Vereinigung der Gesellschaftlich Engagierten Wissenschaftler (UCCS), dass fast 70 Prozent des Saatgutes in den Händen von Kleinbauern ist, deren Varietäten fast nie registriert, häufig getauscht und auf kleinen lokalen Märkten verkauft werden, um die Sorten zu erhalten und zu verbessern. Dies sei nach dem neuen Saatgutgesetz jedoch illegal.
Forderung nach Abschaffung des Biosicherheitsgesetzes
Das Abschlussdokument fordert die sofortige Abschaffung des mexikanischen Biosicherheitsgesetzes, weil es Genmaisanbau ermöglicht. Die Regierung wird zudem aufgefordert „unverzüglich die Genehmigungen für die Freisetzung jeglicher Art von Genmais zu suspendieren, die bestehenden Anbauflächen eingeschlossen“. Das Gutachten verlangt, „die für die transgene Kontaminierung verantwortlichen multinationalen Unternehmen, unter denen sich Monsanto, Novartis, DuPont und Aventis befinden, des Landes zu verweisen“ und den Freihandelsvertrag NAFTA, der zur Degradierung der kleinbäuerlichen und indigenen mexikanischen Landwirtschaft wesentlich beigetragen hat, zu überprüfen und neu zu formulieren.
Die Fortsetzung einer „assistenzialistischen öffentlichen Politik“, betreibe derzeit auch der erst seit Dezember 2012 amtierende neue Präsident Mexikos, Enrique Peña Nieto mit seinem „Kreuzzug gegen den Hunger“. Stattdessen sei eine Revision der Agrar- und Handelspolitiken nötig „die zur Krise des mexikanischen Landbaus geführt haben. Sie müssen sich hin zur Stärkung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, den kleinen Landwirten und indigenen Gemeinden orientieren, sowie auf die einheimische Selbstversorgung bei den Grundnahrungsmitteln und die Ernährungssouveränität abzielen.“


Autorin: Bettina Hoyer